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„Versorgungssicherheit im sozialen Bereich ist in Gefahr“

„Versorgungssicherheit im sozialen Bereich ist in Gefahr“ Foto: Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM)

Diakonie-Vorstand fordert mehr Teilhabe für Behinderte und mehr Hilfe für freie Schulen

Vor der Gefährdung des sozialen Friedens sowie gravierenden Auswirkungen der Kostensteigerungen in einem „teuren Winter“ warnte Oberkirchenrat Christoph Stolte, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Mitteldeutschland, in seinem Diakoniebericht zur Tagung der Landessynode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) in Erfurt. Er sieht die Versorgungssicherheit in Gefahr: Mehr als die Hälfte der diakonischen Dienste und Einrichtungen befürchte Liquiditätsengpässe, auch Insolvenzen seien nicht ausgeschlossen. Gleichzeitig befürchtet er das Scheitern der geplanten gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Teilhabe und Inklusion seien viel mehr als Versorgung, „es ist Haltung und Aufgabe zugleich, die in diesem Land nie wieder zur Disposition stehen darf“. Stolte kritisierte außerdem die mangelnde Unterstützung von Freien Schulen im Freistaat Thüringen, „viele sind unverschuldet in finanzieller Not“.

 

„Die Spaltung in unserer Gesellschaft wird größer, Menschen, die sehr verschieden denken, finden im Dialog kaum zueinander, auch in Kirche und Diakonie. Der soziale Frieden wird dadurch immer fragiler, verstärkt durch die hohe Inflation und die rasant steigenden Energie- und Lebensmittelpreise“, sagte Stolte. Träger rechneten mit hohen Ausgaben-Steigerungen, Betroffene seien stark verunsichert, in der ambulanten Pflege gingen Seniorinnen und Senioren ein Gesundheitsrisiko ein, indem sie Pflegeleistungen absagen aus Sorge, ihren Strom nicht mehr zahlen zu können. Die diakonischen Einrichtungen stünden vor massiven Herausforderungen.

 

Er forderte die zuständigen Bundesminister auf, mit den Ländern sehr zeitnah unbürokratische Lösungen zu finden, damit Leistungserbringer ihre energie- und inflationsbedingten Mehrkosten direkt bei den Kostenträgern geltend machen können und diese Kosten unverzüglich erstattet werden. Weitere Forderungen: Eine zeitnahe pauschalierte Erhöhung der Entgelte, ein Hilfsfonds für soziale Dienstleister, das Aufstocken der Mittel für Schuldner- und Insolvenz-Beratungsstellen, das Anheben der Regelsätze auf ein existenzsicherndes Niveau, das Aussetzen von Wohnungs-Kündigungen und Energiesperren, das Einrichten von Härtefallfonds mit niedrigschwelligem Zugang, einen Preisdeckel für Strom und Heizkosten.

 

Der Diakonie-Vorstand warnte zudem vor dem Scheitern der geplanten gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in allen Bereichen des kirchlichen Lebens. „In den Fragen der juristischen Umsetzung und fiskalischen Vorbehalten gerät der aus dem Blick oder wird zwischen Zuständigkeiten zerrieben, um den es geht: dieser eine Mensch.“

Bei Teilhabe und Inklusion gehe es auch um Armut, Bildung, Alter, Gleichberechtigung, Diversität, Sprache, Migration, betonte Stolte. Inklusion bedeute nicht, dass Menschen mit Behinderung sich anpassen und einfügen müssen, „sondern dass wir uns öffnen für Möglichkeiten und Ermöglichung“. Er sieht kein Erkenntnisproblem, sondern „ein Umsetzungsproblem, vielleicht ein Wollensproblem“.

 

Selbstkritisch müsse Kirche auch über Exklusion reden, so Stolte. Barrierefreiheit oder -armut sieht er deshalb nicht in Baumaßnahmen erschöpft. „Es geht zum Beispiel auch um Schriftgröße, Lesbarkeit, Zugänge und Assistenzsysteme. Es geht um verständlich formulierte und nachvollziehbare Formulare oder Gesetze für alle. Es geht um Haltung, Wahrnehmung und verständliche Sprache.“ Dies gelte beispielsweise auch für Predigten und Gemeindebriefe, betonte Stolte.

 

Sehr kritisch äußerte sich Stolte zur Zuständigkeit für die Eingliederungshilfe bei den Landkreisen und Kommunen in Thüringen. Das Ziel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse für Menschen mit Behinderung sei damit nicht zu erreichen, ebenso nicht verlässliche Teilhabechancen für den Einzelnen und die Transformation der Leistungserbringer. Die erforderlichen Transformationsprozesse brauchten sowohl Zeit als auch finanzielle Ressourcen. In beiden Bundesländern seien Bereitschaft und Verständnis von Politik und Verwaltung dafür begrenzt. „Einer kommt dabei eher selten vor: Der einzelne Mensch mit einer Behinderung.

 

Hintergrund:

Die Landessynode besteht aus 80 gewählten und berufenen sowie solchen Mitgliedern, die ihr von Amts wegen angehören. Sie verkörpert die Einheit und Vielfalt der Gemeinden, Kirchenkreise, Dienste, Einrichtungen und Werke im Bereich der Landeskirche. Die Landessynode tritt in der Regel zweimal im Jahr zu mehrtägigen, öffentlichen Sitzungen zusammen.

Quelle: Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM)

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